Eine unternehmerische Weichnachtsgeschichte

– gepitched von Dietmar Grichnik

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Wir alle erleben die Welt in Form von Geschichten, die Weihnachtsgeschichte ist eine davon. Eine sehr alte Geschichte. Ich habe mich gefragt, wie würde heute ein Storytelling der Weihnachtsgeschichte aussehen? Im Entrepreneurship würde man ein Pitchdeck – einen Foliensatz – nach der 10/20/30-Regel von Silicon-Valley-Guru Guy Kawasaki erstellen. 10 Folien, 20 Minuten Vortrag und Schriftgrösse 30. Lassen wir Vortrag und Schriftgrösse einmal weg und konzentrieren uns auf den Entwurf der Folien.

 

Die Titelfolie würde auf Jesus von Nazareth lauten, ohne Kontaktdaten auf der Folie, schliesslich kann jeder von uns auch ohne Skype direkt mit ihm ins Gebet gehen. Also, der Messias aus der Start-up Nation Israel. Einer der High-Tech-Standorte schlechthin. Schon einmal keine schlechten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Sales- oder Investment-Pitch.

 

Regel Nummer 1 nach Guy Kawasaki: Explain yourself in the first minute and speak Englisch. Jesus spricht also im Startup-Englisch: “My name is Jesus Christ, Son of God; with my team we help sinners.“ Dann empfiehlt Kawasaki ein kleines Teufelchen auf die Schulter von unserem Entrepreneur Jesus zu setzen, der ihm ins Ohr flüstert „So what?“

 

Jesus antwortet: “With each healed sinner, we make the world a better place.“ Dazu setzen wir ein kleines Engelchen auf Jesus Schulter: “Bringe ein Beispiel, Herr.” Jesus: “For instance, with each dollar earned in the first world we spend 10 percent on solving a problem in the third world.“

 

Die nächste Folie zeigt das Problem, das es zu lösen gilt. Die Sünden der Menschheit – also nicht etwa Diätsünden oder Parksünden in der ersten Welt – „Think big!“ – Umweltsünden und humanitäre Katastrophen in der dritten Welt.

 

Dann die nächste Folie – The Solution – hier wird es schon schwieriger, aber Jesus als Hero Entrepreneur hat natürlich eine Lösung: eine Social-Coin-Währung. Du vertelefonierst Deine Swisscom-Handy-Minuten und spendest automatisch 10 Prozent für ein von Dir ausgewähltes Projekt vor Ort.

 

Nächste Folie: Das Geschäftsmodell oder verkürzt gesagt „How we make money“. Klar ist, ein Abo-Modell muss her. Und das Teufelchen flüstert Jesus ins Ohr: „Hey Jesus, wir haben eine Weltmarke und Du bist der Messias, dazu die Bibel … mit einem Subscription-Modell werden wir reicher als diese Marks, Bills, Jeffs, Sergeys und Elons aus den USA.“ Jesus aber präsentiert ein umgekehrtes Freemium-Modell. Alle Sünder – also alle Menschen – sind zunächst Premiumnutzer, zahlen also mit Social Coins eine Prämie, um sich von den Sünden freizukaufen. Das Engelchen auf Jesus Schulter applaudiert und rechnet bereits die Anzahl Social Coins bei aktuellem Sündenstand aus; schliesslich glaubt es trotz Sündenfall unbeiirrt an das Gute im Menschen.

 

Folie Nummer 5: The Underlying Magic – eine bahnbrechende Technologie, die Secret Sauce – bei Jesus mit einem Wort „Liebe!“ – Jesus Israelischer Landsmann und Soziologe Amitai Etzioni liefert dazu den theoretischen Unterbau für eine – wie er es nennt – Verantwortungsgesellschaft. Kurz gesagt:  „Handle so, wie Du selbst behandelt werden möchtest!“

 

Und hier kommen wir zum Management-Team auf der nächsten Folie. Der CEO, Jesus Christus von Nazareth, mittellos wie fast jeder Gründer und aus einer unternehmerischen Familie mit seinem Vater als Selbstständiger im Handwerk. Der CEO noch reichlich jung, aber als kolportierter König schon im Visier der Politik; ein Musterbrecher, Change Maker und Visionär zugleich. Zunächst Solo Entrepreneur. Im Board seine Eltern, Maria und Josef als Erziehungsberechtigte und erste Finanziers – Family and Fools –, der heilige Geist als Branchenexperte und Gott als Allmächtiger, füllen die Lücken aber mehr als zufriedenstellend. Als Mitarbeiterteam für später vorgesehen – ungewöhnlich gross – zwölf Apostel mit heterogenen Kompetenzen und  Persönlichkeitsprofilen. Konflikte sind programmiert, zumal es auch Angsthasen im Team gibt, Judas und Petrus. Da auch keine vertragliche Ausstiegsklausel, vereinbart wird, gehörig Sprengstoff im Team, der dem CEO, wie so oft bei Start-ups noch zum Verhängnis werden wird.

 

Aber was ist mit Marketing und Sales – Folie 7. Jesus setzt auf virales Marketing, die Medien sollen über das Kind berichten. Dafür wird die Geschichte des Erlösers gepitched, auf den die Welt seit langem wartet. Mit speziellen Demos wie der wunderbaren Fischvermährung und Predigten wird die Zielgruppe der mittellosen Sünder angesprochen und über das zur damaligen Zeit suspekte bis illegale Schaffen als Retter der Armen angefeuert. Zu Lebzeiten campieren die Jünger vor den Flagship Locations, wenn eine neue Wunderheilung lanciert wird und der Herr auf speziellen Events mit freiem Oberkörper, immer gleich einfach gekleidet, seine Innovationen verkündet. Es vergeht einige Zeit, bis sich das Word-to-Mouth verbreitet, aber der Ansteckungseffekt ist durch die CSOs – die zwölf Apostel über den Tod des Gründers hinaus gesichert.

 

Die Folie zur Konkurrenzsituation zeigt klare Value Propositions; nach Clayton Christensen die „Jobs that need to be done“: 1. Frieden schaffen, 2. Befreiuung von der Erbsünde. Das ergibt zu anderen Weltregionen einige Überschneidungen, aber auch einige Differenzierungen. Aus der Summe der Value Propositions resultiert ein klares Alleinstellungsmerkmal – ein USP: die Liebe Gottes. Hypothesen, die es im unternehmerischen Cockpit zu validieren gilt? An erster Stelle: Unsere Kunden sind die Sünder, die bereit sind, mit Social Coins einen Ablass auf ihre Sünden zu zahlen.

 

Aber wie das geplante weltweite Wachstum finanzieren? Im Geschäftsmodell steckt klar und deutlich: Skalierung! Skalierung! Skalierung! Es wird ein Unicorn; am Ende darf es nur eine Sünder-Plattform geben; alle sind zu bekehren. Für den Start werden über die Social-Media-Plattform, the Holy Footbook, drei einflussreiche Freunde geliked, Caspar, Melchior und Balthasar – als gut bemittelte Könige sind sie die ersten Unterstützer, die sich über Amazon mit wertvollen Ressourcen ausstatten, die als Geschenke zum Start die Existenz sichern. Für die Reise buchen sie einen Uber-Esel. Den beschwerlichen Weg erleichtert ihnen Google Maps, das die kleine Krippe trotz ihrer entlegenen Lage bestens lokalisiert und per Stern-Navigation – wer brauch schon GPS – den Weg weist. In der Krippe, der Gründergarage, ist via AirBnB auch ein erstes Lager schnell gefunden. Die Reisenden geniessen mit der heiligen Familie die heimliche und gemütliche Atmosphäre unter einem Dach; vor allem völlig unentdeckt von der NCA – der National Census Association –, die im Auftrag von Kaiser Augustus bereits ihre digitalen Hescher aktiviert hat. Und jetzt das Erstaunliche: Eine weitere Finanzierung ist nicht vorgesehen. Die Geldvermittler werden später vom CEO aus dem Tempel in Jerusalem vertrieben. Bootstrapping mit den vorhandenen Mitteln. Und die Technologie „Liebe“ soll als viel machtvollerer Schmierstoff einen Ansteckungseffekt erzeugen.

 

So bleibt die nächste Folie zu den Financials und Key Metrics auch weitestgehend leer – nur eine Zahl: Die Conversion Rate von Sündern zu Engeln – Zweistellig! Dem kleinen Teufelchen auf Jesus Schulter wird es schlecht, das Engelchen reibt sich die Hände.

 

Und dann die zehnte und letzte Folie „Current Status, Accomplishements to Date and Timeline“. Nun, Marktstart und Wachstum wurden realisiert und das global; aber weitaus langsamer als geplant – es dauert immer doppelt so lange und wird doppelt so teuer. Hier dauert es noch länger: Über 2000 Jahre und immer noch kein Ende in Sicht. Die Konkurrenz wird härter und gefährdet den USP; Liebe ist nicht mehr zwingend angesagt; Egoismen und Kommerz bestimmen das Weltbild; andere Anbieter von Religion gehen aggressiv in den Markt und machen den Blue Ocean zu einem blutgetrenkten Red Ocean. Aber die Nachfolger in der X-ten Generation zeigen die Gründertugend schlechthin: Durchhaltevermögen; sie halten unbeirrt an Glauben und Werten fest.

 

Tatsächlich gibt es dieses Venture, Social Founders, wo ich seit einiger Zeit als Business Angel investiert bin. Der CEO heisst nicht Jesus, sondern Stephan. Es hat mehr mit Business als mit Angel zu tun, aber das Team beeindruckt mich fortwährend damit, wie man mit unternehmerischer Kraft und mit technischen Innovationen auf Basis geteilter Werte die Welt ein kleines wenig besser machen kann. Das macht unser Betätigungsfeld als Unternehmerinnen und Unternehmer so wertvoll und lohnt jede Anstrengung, weil wir ähnlich wie vielleicht seinerzeit bei der Industrialisierung am Anfang einer neuen Epoche stehen. Die Digitalisierung und Vernetzung erlaubt uns in ungeahnter Form, unternehmerische Wirkung in dieser Welt zu erzielen. Ich glaube, sie kann es mehr denn je gebrauchen.

 

Frohe Weihnachten!