13.1.2017/WirtschaftsWoche 3/© Handelsblatt
Fünf Mythen über Gründer
UNTERNEHMERTUM
: Erfolgreiche Gründer sind jung,
lieben das Risiko und haben schräge
Lebensläufe – stimmt das wirklich?
Was hinter typischen Vorurteilen steckt.
Stellen Sie sich jemanden vor, der gerade
ein Unternehmen gründet. Wen sehen
Sie? Einen jungen Mann mit Kapuzenpulli,
der im Schein seines Laptop-Bildschirms
das nächste große Ding programmiert?
Oder eine Mutter, die sich nach Jahren
des Angestelltendaseins selbstständig
macht, weil sie eine Nische gefunden hat?
Es gibt kaum einen Beruf, um den sich so
viele Mythen ranken wie das Unternehmertum.
Universitäten füllen ihre Lehrpläne mit
Entrepreneurship-Kursen, Journalisten jubeln
über die neue Gründerzeit, im Privatfernsehen
pitchen Start-ups ihre Ideen zur
besten Sendezeit. Aber was ist dran an all
den Vorstellungen, die Menschen vom
Gründen haben? Ein Überblick über fünf
gängige Vorurteile – und wie es wirklich ist.
1. Gründer sind jung
Ein Mythos hält sich immer dann besonders
hartnäckig, wenn er einen echten Helden
hervorbringt. So wie Mark Zuckerberg. Der
Facebook-Chef gründete sein Unternehmen
schon mit 19 und brach sein Harvard-Studium
ab, um vier Jahre später jüngster Selfmade-
Milliardär der Welt zu werden.
Seitdem gilt er als Ikone einer neuen Generation
von Gründern, deren Geburtsjahr
scheinbar der entscheidende Wettbewerbsvorteil
ist. „Junge Menschen sind einfach
schlauer“, sagte Zuckerberg einmal. Nun
gut: Steve Jobs, Bill Gates, Michael Dell,
Walt Disney – sie alle haben ihre Firma lange
vor dem 23. Geburtstag gegründet. Aber
zählt Erfahrung gar nichts? Ist jugendlicher
Leichtsinn ein gutes Geschäftsmodell?
Mitnichten.
Das Durchschnittsalter der deutschen Unternehmensgründer
liegt bei exakt 38,6 Jahren.
Diese Zahl haben Wissenschaftler des
Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) in einer Studie ermittelt, die
Ende des vergangenen Jahres erschien. Sie
basiert auf Ergebnissen des Global Entrepreneurship
Monitors. Die untersuchten
Gründer sind entweder gerade dabei, ein
Unternehmen zu gründen, oder haben das
in den vergangenen dreieinhalb Jahren bereits
getan.
„Ältere und erfahrene Menschen bringen
gute Voraussetzungen für eine Unternehmensgründung
mit“, sagt Arbeitsmarktforscher
Udo Brixy vom IAB. Ein Beispiel dafür
seien Mütter und Väter, die nach der Babypause
wieder zurück ins Berufsleben wollen
– nach der Familiengründung könnte dann
das erste eigene Unternehmen folgen.
Aber warum macht Erfahrung erfolgreich?
Vivek Wadhwa, Unternehmer und Wissenschaftler
an der Duke-Universität in North
Carolina, erforscht die Lebensläufe von
Gründern. Er fand in einer Befragung unter
549 amerikanischen Entrepreneuren aus
zwölf verschiedenen Industrien heraus:
Rund 70 Prozent entstammen der Mittelschicht,
sind verheiratet und haben mindestens
sechs Jahre Berufserfahrung als
Angestellte. Sechs von zehn der Befragten
hatten mindestens ein Kind. Wadhwa leitet
aus seinen Forschungsergebnissen einen
Dreischritt ab, der den Erfolg des Alters erklären
könnte: „Ideen entstehen aus Bedürfnissen.
Um Bedürfnisse zu verstehen,
braucht man Erfahrung – und die kommt
im Alter.“
Das lässt sich auch auf prominente Pioniere
übertragen. Die größten Innovationen von
Steve Jobs kamen auf den Markt, als er
schon Mitte 40 war.
2. Gründer sind Studienabbrecher
Was haben Medienmogulin Oprah Winfrey,
Modezar Ralph Lauren und Spotify-
Gründer Daniel Ek gemeinsam? Alle sind
erfolgreiche Unternehmer, keiner von ihnen
hat die Universität abgeschlossen. Aber Vorsicht
vor Fehlschlüssen: Wer jetzt überlegt,
schnell die Exmatrikulationsbescheinigung
auszufüllen und statt der Bachelor-Arbeit
lieber einen Businessplan zu schreiben,
sollte vorher einen Blick in die Forschung
werfen. Lassen Sie sich bloß nicht von anekdotischer
Evidenz blenden!
Der Wirtschaftswissenschaftler Guido
Bünstorf vom Max-Planck-Institut für Ökonomik
hat untersucht, ob Studienabbrecher
erfolgreicher gründen als Absolventen. Gemeinsam
mit zwei skandinavischen Kollegen
wertete er dänische Arbeitsmarktdaten
aus den Jahren 1994 bis 2007 aus. Und siehe
da: Drei Jahre nach Verlassen der Hochschule
hatten sich 2,4 Prozent der Abbrecher
selbstständig gemacht, bei den Absolventen
waren es nur 1,5 Prozent.
Allerdings scheinen Menschen mit Diplom
trotzdem die besseren Unternehmer zu sein:
Der Umsatz im ersten Gründungsjahr war
bei den Firmen der Absolventen im Schnitt
um ein Drittel höher als bei den Abbrechern.
„Unsere Untersuchung liefert keine Anhaltspunkte
für die These, dass Erfolgsgeschichten
wie die von Steve Jobs oder Mark
Zuckerberg typisch für Studienabbrecher
sind“, sagt Bünstorf.
Der britische Arbeitsökonom David Blanchflower
hat zudem herausgefunden, dass zumindest
in den USA die Chance auf Selbstständigkeit
ansteigt, je gebildeter jemand ist.
Die höchste Wahrscheinlichkeit haben
demnach Master-Absolventen oder Men-
„Ideen entstehen aus
Bedürfnissen. Um Bedürfnisse
zu verstehen,
braucht man Erfahrung
– die kommt im Alter“
Vivek Wadhwa, Dozent an der
amerikanischen Duke-Universität
schen mit einem vergleichbaren akademischen
Abschluss.
In dem Buch „The Illusions of Entrepreneurship“
bringt der amerikanische BWLProfessor
Scott Shane die Erkenntnisse der
Forschung auf den Punkt: „Wenn Sie Unternehmer
werden wollen, dann gehen Sie zur
Uni.“ Allerdings sollten angehende Gründer
auf einen Doktortitel eher verzichten. „Mit
so viel Bildung werden sie dann vermutlich
eher ein nerdiger Professor wie ich“,
schreibt Shane, „der vom Gründen spricht,
anstatt es zu tun.“
3. Gründer brauchen finanzielle Hilfe
Dieser Mythos verfügt sogar über ein eigenes
Maskottchen, das passenderweise aus
der Familie der Fabelwesen stammt: das
Einhorn. Wer die einschlägigen Fachmedien
über die Gründerszene verfolgt, könnte den
Eindruck bekommen, dass unter den Unternehmern
das Jagdfieber ausgebrochen ist.
Denn es vergeht kaum ein Tag ohne einen
Artikel rund um die Frage, welches Start-up
dank der nächsten großen Finanzierungsrunde
eine Milliardenbewertung erreicht
und sich damit zum Club der „Unicorns“
zählen darf.
Die Schlagzeilen über üppige Kapitalrunden
zeichnen das Bild von Unternehmern, die
nur dank externem Geld ihren Beruf ausüben
können. Doch das Einhorn als solches
frisst nicht nur Unmengen an Kapital, sondern
ist auch höchst selten.
Die meisten Gründer investieren zunächst
einmal ihr eigenes Geld. Der Deutsche Startup
Monitor – eine jährliche Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
KPMG – hat im
vorvergangenen Jahr 1224 deutsche Startups
nach der Herkunft ihres Kapitals gefragt.
84 Prozent nutzen die eigenen Ersparnisse
als Finanzierungsquelle, knapp ein
Drittel bekommt Geld von Freunden oder
der Familie. Und eines von fünf Start-ups
finanziert sich sogar ausschließlich aus
eigenen Erlösen. Die Finanzierung durch
Venture Capital, Business Angels oder Inkubatoren
dagegen ist rückläufig.
Interessant ist außerdem, wie gering der Finanzierungsbedarf
bei Gründern generell
ist. Knapp 30 Prozent kommen derzeit mit
weniger als 50 000 Euro externem Kapital
aus. Bootstrapping, also die Finanzierung
des eigenen Unternehmens ohne fremdes
Geld, liegt im Trend.
„Zum Gründen braucht man zu Beginn erst
mal gar kein Kapital“, sagt Dietmar Grichnik,
Professor für Entrepreneurship an der
Schweizer Universität St. Gallen. Viel Geld
brauche ein Start-up erst, wenn es stark
wachsen möchte. Aber viele Unternehmer
würden den Fehler machen, sich zu früh um
Kapital zu kümmern. Wichtiger sei es, dass
das Produkt erst mal einen Markt findet.
4. Gründer lieben das Risiko
Der irisch-französische Ökonom Richard
Cantillon gebrauchte im Jahr 1755 erstmals
den Begriff Entrepreneur. Er beschrieb damit
jemanden, der „Risiken auf sich nimmt,
um Güter zu unsicheren Preisen zu verkaufen“.
Seitdem werden Unternehmer häufig
als waghalsige Typen beschrieben, die im
Gegensatz zu angestellten Managern Geld,
Ruf und Karriere riskieren, um risikoreiche
Entscheidungen zu treffen.
Elon Musk, CEO des Elektroautobauers
Tesla, verkörpert diesen Mythos wie kein
Zweiter. Er steckte angeblich sein komplettes
Vermögen in seine Unternehmen, sodass
er sich danach Geld borgen musste, um seine
Miete zahlen zu können. Und Facebook-
Gründer Mark Zuckerberg wiederholt bei
jeder Gelegenheit sein Mantra vom Wagnis
als einzige Chance: „Das größte Risiko geht
ein, wer gar kein Risiko eingeht.“
Aber wie bewertet die Wissenschaft das Risikoverhalten
von Otto Normalgründer? Manche
Studien attestieren Unternehmern tatsächlich
mehr Risikotoleranz als ihren Mitmenschen,
andere finden keinen Zusammenhang
zwischen Übermut und Machern.
Dazu gehören auch Hongwei Xu und Martin
Ruef, zwei Forscher der amerikanischen Eliteuniversitäten
Stanford und Princeton. Sie
verglichen in einer repräsentativen Studie
das Risikoverhalten von angehenden Unternehmern
im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
Das Ergebnis: Die Gründer in spe
waren weniger risikofreudig als ihre Mitmenschen,
wenn es um mögliche Investitionsentscheidungen
ging. So entschieden
sich die Gründer eher dafür, eine 80-prozentige
Chance auf einen Gewinn von 1,25 Millionen
Dollar wahrzunehmen als eine
20-prozentige Chance auf einen Gewinn
von fünf Millionen Dollar. Bei der Vergleichsgruppe
war es umgekehrt. Die Autoren
der Studie schließen daraus, dass sich
Unternehmer eher nicht aus finanziellen
Gründen selbstständig machen, sondern
weil sie eigenständig arbeiten und sich
selbst verwirklichen möchten. Um diese
Ziele zu erreichen, sollten sie im Optimalfall
aber risikoscheu sein – um zu vermeiden,
dass ihre Firma scheitert. „Unternehmer gehen
keine Risiken ein“, sagt Len Green. „Sie
gehen kalkulierte Risiken ein.“ Der US-Professor
für Unternehmertum hat selbst eine
Beratungsfirma gegründet. Er betont, dass
der Unterschied zwischen Scheitern und
Erfolg darin liegt, ob jemand einfach Risiken
eingeht oder sie vorher vernünftig berechnet.
Mit anderen Worten: Nicht Waghalsigkeit
wird belohnt – sondern Mut.
5. Start-ups sind disruptiv
An dieser Stelle müssen wir uns schuldig bekennen:
Beim WirtschaftsWoche-Gründer-
wettbewerb Neumacher suggeriert schon
der Name Einfallsreichtum. Noch lieber
schmücken sich Start-ups damit, disruptiv
zu sein, also so innovativ, dass sie gleich einen
ganzen Markt umwälzen. Gerne zitieren
sie den legendären Ökonomen Joseph
Schumpeter und seine Idee von „kreativer
Zerstörung“ als Credo für Neugründungen.
Geht es nicht bodenständiger?
Und ob. Vor allem in der realen Wirtschaftswelt.
Und damit noch mal zu Schumpeter,
der Innovationen schon vor 70 Jahren deutlich
weniger unerreichbar definierte. Es gehe
darum, „neue Dinge zu tun oder Dinge,
die bereits getan werden, anders zu tun“.
Entscheidend ist also nicht die Erfindung
von etwas Neuem, sondern der neue Einsatz
etablierter Ideen. Ein Beispiel ist Ebay: Die
Firma wurde 1995 gegründet und machte
nichts weiter als eine der ältesten Erfindungen
der Menschheit – den Marktplatz – mithilfe
von Technologie in die moderne Welt
zu übertragen. Drei, zwei, eins … fertig.
Der Entrepreneurship-Professor Paul Reynolds
von der britischen Aston-Universität
beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der Frage,
welche Bedeutung Start-ups für die Gesellschaft
haben. Sein Fazit: „Der Anteil von
jungen Firmen, die einen Markt tatsächlich
verändern, ist sehr gering und liegt bei weniger
als fünf Prozent.“ Die große Mehrheit
würde einfach bestehende Aktivitäten nachahmen,
manchmal sogar ganze Firmen kopieren.
Damit würden sie den Kunden einen
großen Nutzen erweisen – weil der Wettbewerb
stärker wird, die Qualität steigt und die
Preise sinken.
Mit Blick auf Deutschland kommt einem unweigerlich
Oliver Samwer in den Sinn, Chef
des Start-up-Inkubators Rocket Internet.
Seinen Firmen geht der Ruf voraus, Geschäftsmodelle,
die sich bereits in den USA
etabliert haben, schnell zu kopieren und in
Europa, Asien und Afrika auszurollen. „Vielleicht
gewinnen wir nicht die höchste Auszeichnung
für die größte Innovation, aber
was macht das schon?“, sagte Samwer dazu
einmal auf einer Konferenz. „Man muss einfach
super pragmatisch sein.“
Damit ist er nicht alleine. Der US-Ökonom
Amar Bhide fand in einer Befragung der
500 wachstumsstärksten amerikanischen
Firmen heraus: Nur einer von acht Unternehmern
behauptet von sich, wegen einer
außergewöhnlichen Idee derart erfolgreich
zu sein. 88 Prozent hingegen gestanden,
dass sie ihr Geld mit einer alltäglichen Idee
verdienten – diese aber außergewöhnlich
umsetzten.
maximilian.nowroth@wiwo.de